Ein Drittel weniger – oder warum wir an einem 30-Minuten-Takt festhalten
In vielen, wenn nicht gar den meisten Physiotherapie-Praxen ist es üblich, dass standardmäßig 20 Minuten Zeit pro Patient eingeplant werden. Das hat den Hintergrund, dass die Krankenkassen in ihrer Kalkulation dessen, was sie den Physiotherapeut*innen erstatten, beispielsweise für Krankengymnastik oder Massagen einen zeitlichen Aufwand von maximal 15-20 Minuten pro Patient ansetzen, bei Manueller Therapie sind es 20 bis maximal 25 Minuten. In sofern ist es nachvollziehbar, dass es in Physiotherapiepraxen üblich ist, im Schnitt 20 Minuten pro Patient einzuplanen, um wirtschaftlich arbeiten zu können.
Als Physiotherapeutin und Osteopathin, die selbst eine Praxis mit 5-7 Mitarbeiterinnen betreibt, halte ich das für nicht ausreichend. Seit es diese Praxis gibt, wurde für jeden Patientin eine halbe Stunde veranschlagt, trotzdem arbeiten wir durchaus wirtschaftlich.
Warum aber halte ich am 30-Minuten-Takt fest, obwohl ich die Anzahl der behandelten Patient*innen durch einen 20-Minuten-Takt defacto um ein Drittel steigern und damit auch meine Umsätze erhöhen könnte?
- Die Qualität der Behandlung
Innerhalb von 20 Minuten ist es in den meisten Fällen nicht möglich, alle individuell auf den Patienten zugeschnittenen Vorbereitungen und Nebentätigkeiten zu bewältigen, ein Gespräch mit dem Patienten zu führen und ihn dann noch adäquat zu behandeln – jedenfalls nicht mit der entsprechenden Qualität. Wieviel effektive Behandlungstzeit bleibt denn bei 20 Minuten übrig, wenn ich all das berücksichtige? Nicht ausreichend, um qualitativ hochwertig zu behandeln, meine ich. Unsere Arbeit soll jedoch den Menschen schließlich möglichst schnell und nachhaltig helfen. - Entlastung der Mitarbeiterinnen
Es macht schon einen Unterschied, ob man die nötigen Vor- und Nachbereitungen für eine Behandlung 16 oder 24 mal pro Tag erledigen muss. Zudem ist es zwar keine wirklich messbare, über einen ganzen Arbeitstag betrachtet aber doch eine nicht unerhebliche Anstrengung, sich mental auf einen anderen Menschen, seine Probleme und sein Krankheitsbild einzustellen. Hinzu kommt, dass auch eine Physiotherapeutin mal auf Toilette oder einfach nur kurz durchatmen muss. Das ist im 20-Minuten-Takt leider nicht vorgesehen. - Der soziale Faktor
Seien wir ehrlich: auch 30 Minuten sind keine besonders große Zeitspanne. Dennoch ermöglichen es die 10 Minuten mehr, doch etwas mehr über die Sorgen der Patienten zu sprechen. Ich behandle Menschen, keine Gegenstände. Und ich möchte, dass die Menschen gern zu mir in die Praxis kommen, dass sie sich gut aufgehoben fühlen und Vertrauen haben und dass sie wiederkommen. Dazu gehört eben auch, sich das eine oder andere mentale Wehwehchen anzuhören und auch mal eine Hand zu drücken und jemanden ein bisschen aufzubauen. Auch das kann ein 20-Minuten-Takt nicht leisten.
Das sind nur drei, für mich aber mehr als schlagende Argumente dafür, gegen jeden Trend bei einer 30-Minuten-Taktung zu bleiben.